Positive Emotionen und Erfahrungen mit Ärzten und Therapeuten

In den vergangenen Tagen habe ich wegen eines Problems (Austausch einer Kamera in unserem Iphone 6 plus) Kontakt mit dem Support von Apple über das Internet gehabt. Eine sehr professionelle und sehr freundliche Kommunikation. Auch wenn es sich letztlich um ein unerfreuliches Ereignis handelte, war es eine positive Erfahrung. Entweder das Ergebnis einer guten Mitarbeiterschulung im Support oder ich hatte ein Naturtalent am Chat. Letztlich bin ich gar nicht zum Ziel gekommen (was aber eher an Probleme an anderer Stelle mit der Kreditkarte lag). Aber ich fühlte mich gut informiert und begleitet vom Kundendienst.

Und wünschte mir, wir würden als Ärzte und Therapeuten auch so eine Kommunikationsschulung bzw. Kundenorientierung an den Tag legen können.

Ich beschäftige mich ja gerne mit Forschungen aus dem Bereich der sogenannten Positiven Psychologie. Eine der Vorreiterinnen ist Barbara Fredrickson. Sie postuliert, dass für ein zufriedenes Leben ein Verhältnis von 2:1 positiver zu negativer Erfahrungen notwendig ist. Damit man quasi aus einer belastenden Situation heraus kommt bzw. emotional aufblüht, ist sogar ein höheres Verhältnis von 3:1 bis 5:1 erforderlich.

Es geht dabei gar nicht allein darum, das positive Erlebnisse sich gut anfühlen bzw zu einem Glücksgefühl beitragen. Vielmehr verändert es unseren Denk- und Wahrnehmungsstil, so dass wir aus einem sehr eingeengten Denken und Wahrnehmen im Sinne eines Flucht- und Kampfmodus mit sehr rigiden = festgefahrenen Mustern und Grundannahmen in einen weit flexibleren, spielerischen und weitsichtigeren Modus umschalten können. Hier kommt dann das Konzept der Mentalisierung mit ins Spiel. Damit ist die Fähigkeit gemeint, quasi mit einem gewissen inneren emotionalen Abstand sein Verhalten und die Auswirkungen beobachten zu können und nicht impulsiv bzw. festgefahrenen zu Reaktionen zu kommen. Mentalisierung erfordert damit auch die Fähigkeit, eine gewisse emotionale Kontrolle gerade in emotional belastenden Situationen ausüben zu können.

Da unsere Patienten naturgemäss „krank“ und damit hoch belastet zu uns kommen, ist es UNSERE Aufgabe als Profis, so eine positive wertschätzende Atmosphäre zu schaffen. Wie auch immer.

Leider ist es so, dass ausgerechnet mit Ärzten und Therapeuten häufig die negative Kommunikation im Gedächtnis bleibt.

Das mag viele Gründe haben. So ist der Anlass für das Gespräch ja schon einmal selten positiv. Der Patient hat Sorgen und Ängste und ist vielleicht noch durch die Erwartung an einen „Halbgott in weiß“ verunsichert. Und zumindest in einer Reha-Klinik ist es keinesfalls so, dass nun alle Klienten ein Interesse daran haben, dass ihnen wirklich geholfen wird. Schon allein, weil ggf. ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente läuft, so dass es schön „dumm“ wäre, wenn man eine Besserung in der Reha erreicht.

Der Arzt bzw. die Ärztin steht unter Zeitdruck bzw. auch einer gewissen Anforderung an „Abfertigen“ einer bestimmten Menge von Klienten in einer definierten Zeiteinheit. Keine gute Voraussetzung, um eine positive Beziehung aufzubauen.

Aber weder der Patient noch sein Arzt geht mit dem Vorsatz in das Gespräch und damit die therapeutische Beziehung, dass nun Ärger und Unzufriedenheit vorherrschen soll.

Leider wird unter solchen Umständen aber weniger das behalten, was nun positiv und klar kommuniziert wurde. Sondern unser Gehirn „hakt“ dann besonders bei Aspekten ein (oder aus), die noch nicht klar ausgesprochen oder geklärt sind. Hier wäre es wichtig, Zeit für Rückfragen des Patienten zu lassen und möglichst viel in offenen Fragen zu machen. Wenn dazu mal die Zeit wäre.

Was sind für Euch Merkmale einer guten Kommunikation mit dem Arzt / Therapeuten ?

Und wie befreitet ihr Euch auf ein Gespräch mit dem Arzt vor ?

Familiensysteme nicht nur bei Essstörungen : Eine harte Nuss

Manchmal lassen sich Familiensysteme besser über Figuren, Tiere oder Pflanzen darstellen. Das ist wohl in der analytischen Spieltherapie bzw. auch in vielen systemischen Therapieansätzen bestens bekannt. Das therapeutischen Arbeiten mit Imagination = inneren Bildern hilft Zusammenhänge zu erkennen und zu verändern.

In einer Therapiestunde einer Patientin mit schwerer emotional-instabiler Persönlichkeitsstörung und einer von mir als symbiotisch eingeschätzten dysfunktionalen Beziehung zur (Borderline-Mutter) wird dies wie folgt deutlich.

Es geht mir zunächst darum, dass Frau P immer und immer wieder den telefonischen Kontakt zu ihrer Mutter sucht, der ihr aber nicht gut tut. Ja, eigentlich schon eher als selbstschädigendes Verhalten zu werten ist, da sich in der Folge von Kontakten u.a. Hautwunden an den Händen jeweils deutlich verstärken und auch die bulimische Essstörung stärker wird.

Die Mutter habe aber eine Angststörung, bzw. könne sich allein nicht durchsetzen. Da sich die Schwester der Klientin gerade von der Familie losgesagt habe (nach einem Streit mit dem Vater), benötige die Mutter noch mehr Unterstützung.

Ich lasse Frau P. jetzt das Lebensgefühl ihrer Mutter in ein Bild übersetzen und biete dafür Obst oder Gemüse an. Sie solle sich also in ihre Mutter hinein versetzen und mir das Lebensgefühl beschreiben. Spontan fällt ihr eine braune Kokosnuss ein. Diese sei nach aussen hin „normal“ braun und fest, aber eigentlich überreif. Innerlich sei sie faul bzw. schimmelig und beinhalte eine schwarze, klebrige Flüssigkeit. Diese sei aber für Aussenstehende nicht erkennbar.

Als ich sie frage, welches Gefühl dabei entsteht, wenn sie sich jetzt mit dem Lebensgefühl der Mutter beschäftigt, so übersetzt sie dies spontan als eine Walnuß. Diese sei schwarz und sehr klein. Fast unsichtbar.

Die Kokosnuß und die Walnuß ständen in einer besonderen Abhängigkeitsbeziehung. Zwar habe die Kokosnuß eine harte Schale, aber die Walnuß sei noch widerstandsfähiger bzw. könne in das innere der Kokosnuß schauen. Sie müsse sie stabilisieren. Andererseits sei die Kokosnuß ja grösser und älter und beschützte in gewisser Weise die Walnuß. Beide könnten ohne die andere nicht existieren.

Nun kommen wir zum Vater. Dieser wäre in dem Bild ein grünes Moos. Was sich um die Kokosnuß schmiege, zur Walnuß aber kaum eine räumliche Beziehung habe.

Frau P. schildert, dass es ein parasitäres (symbiotisches) Verhältnis zwischen Moos und Kokosnuß gäbe. Diese beiden Gewächse würden quasi gemeinsam (aber eben nicht allein) Widrigkeiten begegnen.

Die Schwester „hänge als Banane“ an einem anderen Baum. Sie habe derzeit keine räumliche (emotionale) Beziehung. Spielte aber in der Vergangenheit eine wesentliche Rolle. Die Walnuß habe viel auf sich genommen, um die Banane zu schützen.

Nun könnte man natürlich viel in dieses Bild bzw. „Aufstellung“ hinein interpretieren. Abgesehen von den spontanen Schilderungen von Frau P. vermeide ich soweit es geht eigene Analysen, frage eher interessiert nach, wofür das Bild stehen könnte.

Dann leite ich 10 Augenbewegungen von rechts nach links an.

Frau P schildert, dass sich die Kokosnuß und das Moos etwas von einander trennen. Das Moos würde spüren, dass es nicht mehr viel von der Nuß profitieren könne. Das wiederum würde der Kokosnuß widerstreben.

Die Walnuß würde unruhig hin und her rollen.

Der gefällt das wohl so nicht….

Diese Art von Familientherapie würde dann darauf zielen, dass man alle Beteiligten ähnlich einbezieht. Weil es gegenseitige Wechselwirkungen / Ängste und Abhängigkeiten bis hin zur Symbiose gibt.

Denn auch aus einem kleinen Nüsslein möchte bzw. muss eine grosse Nuss werden. Man muss sie nur lassen.

Psychologie-Blog Übersicht Januar 2015

So richtig einfach finde ich es nicht, einen guten Überblick über noch lebende bzw. aktiv weiter geführte Blogs im Bereich der Psychologie und Psychotherapie zu finden. Allein schon für meine eigene Übersicht, habe ich mich mal wieder auf die Suche nach Perlen aus der Blogger-Welt rund um die Psychologie, Psychatrie und Psychosomatik gemacht. Natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Urgestein Dr. Shaw

Die Webseiten von der Psychologen-Gemeinschaftspraxis Dr. Shaw sind immer einen Besuch wert. Und im Januar geht es hier u.a. um das Vergeben. Noch interessanter fand ich einen Beitrag zur Frage, ob Wohlbefinden zu einer Verlängerung der Lebenserwartung führt.

Stärken im Arbeitskontext von Margit Nowotny

Positive Psychologie bezogen auf den Kontext Arbeit greift Margit Nowotny in ihrem aktuellen Blogbeitrag auf und verweist u.a. auf eine Erhebung bzw. Fragebögen zur Persönlichkeitsdiagnostik der Uni Zürich. U.a. empfiehlt sie einen englischsprachien Online-Kurs zur positiven Psychologie von Barbara Fredericksen. Danke dafür !

Stigmatisierung von Pflegenden in der Psychiatrie

Das Thema psychische Gesundheit bzw. Selbsterfahrung und Selbstschutz von Mitarbeitern im Psychologie- und Psychiatrie-Bereich liegt mir natürlich auch sehr nahe. Psychiatrie to go beschäftigt sich mit den Ergebnissen einer Umfrage unter Pflegern und Krankenschwestern in der Psychiatrie zum Thema Stigmatisierung.

Peter Teuschel Schräglage>

Auch regelmässig von mir besucht (gerade gestern was zur Depot-Therapie mit Neuroleptika bei Schizophrenie gelernt…) beschäftigt sich Schräglage u.a. mit einem Urteil zum Thema Mobbing. Mobbing verjährt nicht (vom 15.1.2015)

So… Soviel als erster Überblick für dieses Jahr und zum Nachsurfen. Mich würden Eure Blog-Tipss interessieren ….

Familien-Alarm und zuviel sein

Samstag 22 Uhr 10 im Bereitschaftsdienst (vor ein paar Jahren…)

Bericht aus der Klinik…

Ich erhalte einen Anruf von unserer Nachtdienstschwester. Die Eltern von Frau K. seien da, ihre Tochter hätte so merkwürdige Kribbelmissempfindungen und Unruhe. Schliesslich habe sie vor 2 oder 3 Jahren einen Narkosezwischenfall gehabt. Ich solle kommen.

Aha. Gut, es ist mein Job. Ich werde selten um diese Zeit im Wochenenddienst  gerufen, aber wenn ich gerufen werde, ist es wichtig. Auf dem Weg vom Dienstzimmer versuche ich meine Genervtheit über die Uhrzeit abzuschütteln : „Warum sind die nicht eher gekommen, was machen die denn eigentlich um diese Zeit in der Klinik ?“

Mir gehen die Worte meiner Chefin bzw. leitenden Oberärztin durch den Kopf : „Zu Essstörungen muss man ganz besonders liebevoll und freundlich sein“. Und wir behandeln Eltern mindestens so freundlich wie ihre Töchter. Und freundlicher. Gerade dann, wenn sie eigentlich die grössten Nervtöter dieses Universums ind.

….Gelingt nicht immer. Aber der Wille dazu ist da.

Ich treffe eine vergleichsweise ruhige Patientin an, die auf der Liege in unserer Medzinischen Zentrale sitzt. Daneben eine Mutter, der es schon eher peinlich erscheint, dass ich komme. Sie strahlt aber eine grosse Sorge aus. So als ob ihre Tochter gleich einen Krampfanfall erleiden oder aber ohne elterliche Unterstützung sicher den späten Abend nicht ohne gesundheitlichen Schaden überstehen könnte.  Ein Vater, der die Regie übernimmt. Freundlich, aber der gute Mann strahlt eine Anspannung und Impulsivität aus, die es schwer macht, ruhig zu bleiben. Nun bin ich manchmal nach einem langen Arbeits- und Nachtdiensttag auch nicht mehr so locker und flexibel, aber hier scheint irgendwo ein Alarmknopf gedrückt. Virtuell natürlich.

Die Krankenschwester hat die Situation souverän unter Kontrolle. Blutdruck, Puls, ein EKG, Blutzucker und sogar schon eine Blutgasanalyse zur Kontrolle der Blutsalze (Elektrolyte). Alles im grünen Bereich. Ihr Blick spricht Bände. Eigentlich gibt es keinen Grund, dass ich komme.  Meine einzige Aufgabe wäre, den Klingelknopf bei den Eltern auszuschalten. Damit der Alarm ausgehen kann. Und souverän versucht sie Ruhe in die Situation zu bringen. Den Eltern mal einen Kaffee oder Tee anbieten. Wollen sie nicht. Sich setzen. Die Aufregung runterreden. Kontakt und Bindung herstellen. Sie setzt sich fast beiläufig mit auf die Untersuchungsliege und legt ihren Arm um das Mädel. Nur kurz. Aber es signalisiert viel : Hier bist du sicher und willkommen.

Überhaupt : Die Mitarbeiterinnnen in unserer Medizinischen Zentrale (MZ) sind vermutlich die wahren Therapeutinnen der Klinik. Sie haben am meisten Kontakt, geben die häufigsten kurzen Aufmunterer und sie müssen am meisten die miese (dysphorische) Stimmung oder auch mal Wutausbrüche aushalten, wenn es hoch her geht oder aber die Heimweh, Verlassenheitsgefühl und 1000 andere Notlagen auftreten. Nicht zu reden von der Versorgung der Selbstverletzungen, bisweilen ein sehr blutiges Unterfangen. Ein erfahrener Arzt weiss : Ohne die MZ geht nichts, sie ist nicht nur räumlich das eigentliche Herz der Klinik. Herz mal als „Seele“ verstanden.

So ganz klar ist mir nicht, warum ich JETZT eine ärztliche Klärung herbeiführen kann. Ich kenne ja die Patientin noch nicht einmal. Ausser, dass irgendwie eine Aufregung im Spiel ist. Die Spannung ist wie ein herannahendes Gewitter im Raum spürbar.

So wende ich mich zunächst an die Eltern, was sie denn so alarmiere bzw. warum sie an einem Samstag um 22.10 noch in der Klinik bei ihrer Tochter sein müssen.

Eigentlich beisse ich mir da schon innerlich auf die Zunge. Fehler. Natürlich hätte ich sie zunächst dafür unterstützen sollen, dass sie sich so für ihre Tochter einsetzen. Da sind. Ist ja nicht selbstverständlich. Bloss nicht das Gefühl geben, dass sie „schuld“ sind. Das haben sie bestimmt schon 100 mal gehört. Mindestens.

Aber medizinisch gesehen ist halt alles „o.B.“ = ohne auffälligen Befund.

Immerhin ist die Patientin erst zwei Tage im Haus und bei aller Zuwendung für eine erwachsene Tochter ist es doch ein recht ungewöhnlicher Termin für ein solches Notfallgespräch. Zumindest wenn man weiss, dass die Patientin am Vormittag schon wegen dieser Missempfindungen eine Kontrolluntersuchung der Blutsalze bzw. der Blutgasanalyse hatte und dann sowohl vom Früh- wie auch Spätdienst und nicht zuletzt der Nachtschwester gesehen wurde und nach ihrem Befinden gefragt wurde, dazwischen u.a. bei allen 5 oder sogar 6 Mahlzeiten engmaschig betreut wurde und vermutlich kaum eine Minute ohne Begleitung hatte.  Und es derzeit keinen Hinweis darauf gibt, dass sie nun ein neues Medikament oder gar eine Narkose von uns erhalten hat oder noch am Abend erhalten würde.

Die Tochter hat bisher immer noch kein Wort gesagt. Der Impuls zum Rufen des Arztes kommt nicht von ihr. Sollte man jedenfalls meinen. Eigentlich hat man den Eindruck, dass sie sich am liebsten unsichtbar machen würde, dass sie hier „zuviel“ ist. Es ihr auch zuviel ist, was da inzeniert wird. Ich vermute, dass die Mutter „besorgt“ auf Äußerungen ihrer Tochter reagierte und der Vater zum Sprachrohr wird. Aber eine komische Konstellation ist es schon.

Ich versuche zu erklären, dass sowohl Kribbelparästhesien bzw. auch zeitweilige Zuckungen (Tics) nach klinischer Erfahrung viel mit innerer Anspannung bzw. auch häufiger mit Hyperventilation bzw. einer flachen Brustatmung zu tun haben kann.  Eine psychische Belastung durch die neue Situation in der Klinik könne ja schliesslich vorliegen. Ich lasse die Patientin mal tief in den Bauch atmen, dann flach in die Brust. Wieder in den Bauch.

Der Vater legt gesteigerten Wert darauf , dass ein solcher Druck ja nicht von den Eltern ausgehe, sie ja das Beste für ihre Tochter wollten. Ja, ja… Stimmt schon. Und doch : Wenn irgendwo Druck und Spannung im Raum ist, dann durch diese Konstellation.

Die Tochter fühlt sich überflüssig bzw. zu viel in dieser Situation. Aber sie darf es nicht sagen.

Das gelingt dann erst in einem Gespräch am nächsten Morgen. Ich habe noch Dienst und die Eltern sind (noch) nicht da.

Sie will sich „nur“ bei mir entschuldigen. Für den peinlichen Auftritt ihrer Eltern. Sie wäre am liebsten vor Scham im Boden der Klinik versunken.

Ich versuche ihr klar zu machen, dass es um die Validierung ihrer Gefühle geht. Nicht um die ständige Korrektur und Anpassung. Sie darf das fühlen, was sie fühlt. Und sie darf ihre Eltern peinlich fühlen. Eltern in der Pubertät benehmen sich dauernd peinlich.

Blogge wie ein Pirat

Bildschirmfoto 2015-01-04 um 13.13.24Das alte Jahr 2014 ist überstanden und 2015 ist am Start. Zeit für Rückblicke und gute Vorsätze. So auch in der Bloggerwelt. Und schon wieder eine Blogparade, diesmal zum Thema gute Vorsätze zum Bloggen vom Blog Zielbar. Eigentlich mag ich keine guten oder schlechten Vorsätze. Und zurück in die Vergangenheit schauen ? Auch nicht so mein Ding.

Aber gut : Schauen wir mal, was denn so mir zum Thema „Besser bloggen 2015“ einfällt. Und was ich davon auf diesen Blog so übertragen kann.

Im Juli des letzten Jahres entstand quasi als Zweigstelle meines ADHS-Blogs die Seelenklempnerei. Hier ist Platz für ungewöhnliche Sichtweisen und Metaphern aus der Welt der Psychologie, des Selbstmanagements oder Zielerreichung. Gerne eben „anders als die Anderen“. Quergedacht und nachgedacht. Ich blogge aus Spass und nicht zum Geldverdienen.

Frage 1 : Wie war bzw ist die „Performance“ der Seelenklempnerei ?
Für einen neuen Blog ist die „Performance“ gar nicht übel. WordPress meint, dass ich mit ingesamt etwa 19000 Besuchern 7 mal die Concert Hall der  Oper in Sydney vollbekommen hätte. Glücklicherweise singe ich ja nicht.  Im August hatte ich dann mit über 400 Besuchern an einem Tag die höchste numerische Beteiligung.

Der „beliebteste“ Artikel handelte über das Nichtstun – Wie finde ich den Ausschalter für mein Gehirn und natürlich auch zum Thema Burnout bzw. Zeitschuld und Zeitarmut

 

Performance heisst aber eben auch „Vorstellung“, oder eber Unterhaltung. Oder Erreichen des Publikums. Hier habe ich zunächst viel experimentiert. Und werde das auch 2015 machen. Die Aktion PPP = Poste positive Postings war da so ein Beispiel, das mir viel Spass gemacht hat. Auch wenn es nun vielleicht nicht viral über das Internet sich verbreitete….

Was uns nahtlos zu Frage 2 führt

Frage 2 : Willst du thematisch und inhaltlich etwas verbessern? Wenn ja, was und wodurch? Möchtest du deinen Zielgruppenfokus ändern/optimieren?

Natürlich will ich das. Aber da mein Thema eben doch recht weit gefasst ist, und ich von Zeitwohlstand bzw. Burnout über Esstörungen  bis zu Harry Potter bzw. den Einsatz von Imaginationstechniken ein sehr weites Themenspekrum habe, ist es schwierig meinen Zielgruppenfokus zu optimieren. Der Fokus dieses Blogs liegt auf eine neue Sichtweise zur Selbstregulation und Selbststeuerung. Auf psychologisch könnte man auch schreiben : Höhere Handlungsfunktionen des Gehirns (Exekutivfunktionen) alltagsrelevant verstehen und für Alltagsprobleme bzw. Fragestellungen anzuwenden. Und dies über Metaphern bzw. innere Bilder plastisch verstehbar und anwendbar machen.

Ich freue mich eher, wenn ich auf Leser wie Euch stosse, die meine wilden Gedankenstrudel in den Ozean mitmachen und sich dann auf eine Kaperfahrt mit zunächst ungewissem Ziel aufmachen. Auf in neue Welten könnte man da als Motto nehmen.

Passend dazu bin ich heute auf einen tollen Lehrer namens Dave Burgess gestossen, der u.a. Seminare bzw. auch ein Buch zum Thema „Teach like a pirate“ anbietet. Und dann als Pirat verkleidet Lehrern Unterricht neu verpackt nahebringt.

Das Video (und sein Buch) empfehle ich mal für Alle, die sich mit dem Thema Unterricht bzw. Vermittlung von Themen beschäftigen müssen.

Im Grund sind ja nun Psychotherapie, Unterrichten und ein Blog schreiben nicht so weit voneinander entfernt. Wir haben ein spezielles Thema („Content ist König“) und dieses Thema soll mit maximaler Begeisterung und Enthusiasmus auf möglichst einzigartige Art und Weise an die Zielgruppe gebracht werden. Und zwar so, dass sich ein hoher Wiedererkennungswert ergibt, die eigenen Beiträge möglichst weiter geteilt bzw. die Leser zu Kommentare interaktiv angeregt werden.

Blogger sind also in dem Sinne erstmal auch Unterhaltungskünstler. Oder eben Piraten. Klar machen zur Enter-Taste. Ich kapere mal nicht ein fremdes Schiff, aber klaue die Idee als guten Vorsatz bzw. allgemeine gute Ratschläge für das Bloggen (und das Leben) im Jahr 2015 :

Blogge wie ein Pirat….

Vorsatz Nr 1 :  Das Feuer der Piraten soll in jedem Blogbeitrag greifbar sein
Gut, was verbinden wir mit Piraten ? Natürlich Abenteuer, vielleicht auch Schatzkarten. Wilde Kämpfe mit Sieg und Niederlagen. Aber auf jeden Fall der Aufbruch in Neuland, in unentdeckte Territorien mit der Aussicht aus Gold und Reichtum (ohne eigene aktive regelmässige Arbeit). Klar, ein passives Einkommen im Internet, wer hätte das nicht gerne.

Wir  Blogger sind auf der Suche nach der Keywort-Nische mit maximalen Einnahmen bei möglichst geringer Konkurrenz. Wobei man dann auch noch gefunden werden möchte. Wer so an das Thema herangeht, wird dann einen Blog über Blog-Einnahmen schreiben. Und vielleicht 4,88 Einnahmen im Monat verzeichnen.

Die Nischenthemen sind offenbar die eigentlichen Goldschätze  für die Blogger.  Wenn man nicht zu den Mainstream-Kapitänen der grossen Meinungs-Blogger gehört.
Wobei man da eben die richtige Schatzinsel finden müsste. Und dann dafür sorgen muss, dass der eigene Blog mit dem Inselthema gefunden wird. Gar nicht so einfach, zumal die Navigationsmaschine Google die Blogger weitgeheend im Stich gelassen hat. Gefunden werden Blogs eher durch Zufall bzw. durch Weiterempfehlung. Bis man dann soviel Vernetzung hat, dass man zum Thema auch so gefunden wird. Was ich aber eher als Illusion bzw. nahezu unlösbare Aufgabe  ansehe, wenn man ein Thema wie Psychologie bzw. Coaching etc gewählt hat. Anders mag es vielleicht bei Blog-Themen wie Bonsai-Bäume oder Seifensieden gewählt hat.

Aber als Blogger-Pirat geht es natürlich eher um  „höhere Werte“ als schnöder Mamon. Es geht um Unabhängigkeit, Ausbruch aus der Konformität und Gleichmacherei. Es geht um die eigene Stimme in den Weiten des Internets. Und so einen Kram bzw. Idealismus. Muss man ja vielleicht nicht so hoch aufhängen, dass man gleich am Mast aufgeknöpft wird…

Ratschlag vom Seelenklempner :
Für Blogger wie für das richtige Leben gilt : Suche dir Themen, die DICH begeistern. Dann kannst Du auch andere Menschen damit anstecken bzw. finden. Egal, wie exotisch das Thema sein mag.

Vorsatz 2 : Als Blog-Pirat will ich laut und deutlich hörbar sein

Ein Seeräuber muss ein lautes Organ haben. Er möchte gehört werden. Manchmal aufdringlich und vielleicht über das Ziel hinaus. Aber dafür engagiert und Mitten drin und nicht nur von der Seitenlinie im Thema drin. Eine eigene Meinung vertreten bzw. eigene ungewöhnliche Sichtweisen machen es aus, dass man einen Blog in die Leseliste aufnimmt bzw. wiederkehrt. Man muss vielleicht nicht wie viele Piraten gefürchtet sein. Und natürich schön legal bleiben. Aber das eigene Terretorium sollte klar markiert werden. Und andere Blogger in diesem Seegebiet dann eben auch bekannt sein.

Aber diesen eigenen Bereich auf der Seekarte der Internetweiten  muss man eben auch pflegen und regelmässig besuchen.  Darauf aufmerksam machen und sich bemerkbar machen.

Wenn es um eine kleinere Zielgruppe bzw. den Spass an der Sache als Hobby geht, ist es wesentlich leichter. Aber im Grunde kein grosser Unterschied. Es macht keinen Spass, wenn der Blog nicht gelesen und gefunden wird. Das bedeutet also, man muss an den üblichen Häfen der sozialen Kommunikation beteiligt sein. Für 2015 werde ich den ein oder anderen Blog-Beitrag auch mal auf der Huffington-Post veröffentlichen. Mal schauen. Das ist auf jeden Fall ein grösserer Dampfer. Ganz sicher, kein Piratenschiff. Aber allein gegen den Wind kreuzen, ist vieleicht auch nicht für alle Themen richtig.

Gerne würde ich auch mal auf anderen Blogs Gastbeiträge posten bzw. Gastbeiträge auf meinem Blog veröffentlichen.

Natürlich geht es dann auch darum, Leser zu fangen. Aber eben nicht als Geisel zu nehmen, sondern mit auf die Blogger-Reise der Seelenklempnerei zu nehmen. Solange sie Spass daran haben.

Vorsatz 3 : Rapport oder Rückmeldung

Ich halte ja sehr gerne Vorträge. Für 2015 freue ich mich bereits auf Termine zum Thema ADHS in Gera, später dann in Frankenberg u.a. zu ADHS und Kreativität bzw. ADHS und Partnerschaft. 2014 habe ich u.a. auch zu Burnout und Erschöpfungsdepressionen Vorträge gemacht. Vorträge bzw. Seminare machen Spass, weil sie einen direkten Kontakt = Rückmeldung ermöglichen. Man muss sich dabei thematisch, aber auch von seinem ganzen Auftreten auf das Publikum einstellen. So wie ich mich halt als Psychotherapeut jeweils neu auf meine Patientin oder Patienten einstellen muss.

Die direkte Rückmeldung macht den Spass am Bloggen aus bzw. den Unterschied zu Büchern.

Übertragen auf die Blogger-Welt bedeutet es aber auch, dass sich jeder Blogger über jeden einzelnen Kommentar bzw. Feedback freut.  Interaktion ist eben der Schlüssel für einen lebendigen Blog. Dazu gehört dann auch, dass Beiträge über Facebook oder andere Soziale Medien weiter geteilt und transportiert werden.

Für 2015 nehme ich mir also vor, selber mehr Kommentare bzw. Feedback in anderen Blogs zu geben. Immerhin ist das der Kern des Sozialen Netzes Internet und der Kerngedanke der Unterstützung beim  Bloggen

Vorsatz Nummer 4 : Reichtümer sammeln und teilen

Das Gold des Internets ist schwer zu finden. Ich habe mir vorgenommen, häufiger mal auf die Googel-Adsense Werbung meiner Blogger-Kollegen zu klicken. Kostet mich keine Cent, macht sie aber etwas reicher.Auch wenn man ja nach den Google-Richtlinien nicht zum Klicken der eigenen Werbung aufrufen darf… Adsense ist quasi das Mikro-Gold der Blogger. Ich selber zweifele ja, dass man nun über Affiliate-Links für Kreditkarten oder gar Investment-Programme reich werden kann. Dann doch eher über Amazon-Affiliate-Links.
Mit diesem Blog werde ich auf absehbare Zeit mir keine neue Villa oder Jacht leisten können. Muss ich aber auch gar nicht.

Eigentlich verdient man als Blogger sein Geld eher über eBooks bzw. das Verramschen der User-Daten der Newsletter. Oder Artikelplätze und Backlinks  Ob ich ein ebook schreibe, ist noch nicht so ganz klar. Im Kern würde ich schon gerne, wenn ich nur etwas zielgerichteter wäre. Ich kann mich so schwer auf ein einzelnes Thema festlegen :Eigentlich will ich schon lange für meine Patienten der Klinik ein Buch über Schlaf, Stress und Burnout schreiben, dass viele Themen aus dem Blog vertieft bzw. noch weiter aufgreift.

Mein Tip zu diesem Thema : Setze Dir realistische Ziele und erwarte nicht das grosse Geld für Deinen Blog. Backe kleine Brötchen.

Vorsatz Nummer 5 : Die richtige Analyse und die richtigen Fragen stellen

Seeräuber müssen den Wind in der richtigen Richtung haben. Und zur richtigen Zeit die richtigen Fragen und Antworten haben. Als Kapitän sollte man sein Schiff vor dem Untergang bewahren, andererseits aber mögichst den anderen Konkurrenten immer eine ordentliche Seemeile voraus sein.  Die Trends für 2015 kenne ich aber auch noch nicht. Vielmehr verlasse ich mich auf meine Intuition und darauf, dass ich mich von Themen dann einfach angesprochen fühle. Dann finde ich schon die richtigen Themen bzw. Fragestellungen.

Noch besser für einen Blog ist es aber, wenn man die Themen der Leser aufgreift bzw. hier das Feedback nutzt. Meine Blogbeiträge zum Frosch auf dem Herd sind hier ein schönes Beispiel, wo sich aus einer einfachen Metapher immer weitere Fragestellungen für weitere Themen ergaben.

Vorsatz Nummer 6 : Orthographie gilt eigentlich auch für Piraten

Obwohl ich eigentlich einen Deutsch-Leistungskurs besucht habe : Rechtschreibung und Zeichensetzung gehört nicht zu meinen Störken. Hier werden wohl auch 2015 meine Leser ein wenig Leid ertragen müssen. Obwohl ich Besserung gelobe… Ich verstehe aber, dass hier mehr Sorgfalt notwendig wäre….

Vorsatz Nummer 7 : Dem eigenen inneren Kompass vertrauen

Letztlich möchte ich mit diesem Blog Euch zum eigenen Phantasieren anregen. Piraten sind da doch schon eine gute Metapher. Wenn es um den richtigen Kompass auf dem Weg zum Ziel 2015 geht, welche Form hat Euer Kompass ? Wäre es ein Taschenkompass oder aber ein grosser Kompass auf dem Piratenschiff ? Wenn ihr auf Kurs seid, wohin zeigt die Kompassnadel in Richtung Zukunft ?

Jeder von uns braucht nicht den guten Rat für das ganze Leben. Sondern eben einen eigenen inneren Kompass, der uns dann den Kurs zum eigenen Glück beschreibt. Und uns Abweichungen anzeigt.

Vorsatz Nr 8 : Eine flotte Flotte von Gleichgesinnten auf gemeinsamen Kurs
Vielleicht ergibt sich über die Blogparade die Möglichkeit zur Vernetzung mit anderen Querdenkern bzw. Individualisten, die dann doch einen gemeinsamen Kurs finden. Oder Ideen für eine weitere Entwicklung gemeinsam haben. Wäre schön, muss aber kein Muss sein.

Sonst freue ich mich wie immer auf Rückmeldungen und Eure Ideen oder Metaphern für Vorsätze 2015. Wie kommt man auf den richtigen Kurs 2015 und bleibt dann auch dabei, ohne von den Strömungen und Untiefen des Alltags abgetrieben zu werden ?

 

Minimalismus (Blogparade)

Ich hatte ja schon einmal das Thema „Nichtstun“ als Thema in einer sog. Blogparade. Ganzichselbst. ruft nun zur Askese bzw. Gedanken über Minimalismus auf . Tja, gerade Weihnachten bzw. der Jahreswechsel bieten sich ja dazu an, darüber nachzudenken, worauf man verzichten kann bzw. wie man nun Minimalismus im Alltag lebt.

Heisst Minimalismus Ausmisten im Leben ?
Im Blog oben heisst es

Seit 2008 hab ich alles rausgeschmissen, was nicht in mein Leben passte: Der alte Beruf, ehemalige “Freunde”, die Pille, viele Überzeugungen und Verpflichtungen. Ich war rigoros. Ich wollte mich von allem trennen, was mir nicht mehr gut tat und wollte mein Leben von Grund auf neu aufbauen, so, wie es ideal für mich ist.

Ehrlich gesagt, ich wäre da zu faul zu.

Zudem stellt sich für mich dann die Frage, ob es nicht mehr oder weniger immer eine Lösung aus der Not bzw. dem Impuls heraus ist, die sich dann auf Dauer nicht bewährt. Irgendwann ist die innere Schublade halt wieder zugemüllt.

Ich muss da immer an meine Anorexie-Patientinnen denken. Die haben ja nun mehr oder weniger den Minimalismus auf die Spitze getrieben. Möglichst wenig auf die Waage bringen, um ein Maximum an Kontrolle zu haben. Oder anders ausgedrückt : Die Kontrolle der eigenen Gefühlswelt über die Kontrolle des Körpers und der Umwelt sollte eine Übersicht im Leben ermöglichen. Vorhersehbarkeit , Übersichtlichkeit in einer chaotischen, in einer widersprüchlichen Umgebung.

Wenn einem das Leben zu viel wird, kann man natürlich versuchen, die Komplexität zu reduzieren. Aber ob das gesund ist ?  So wie man über die Magersucht eben zwar minimal isst, so lebt man dann aber auch mimimal, wenn denn überhaupt noch. Kein schönes Leben.

 

Und ich wüsste auch nicht, warum nun ein minimalistisches Umfeld so viel gesünder sein sollte.

Klar, als digitale Nomaden ohne Anhang und Verpflichtungen Reisen und dennoch ein dickes Bankkonto haben. Vielleicht wäre das schön. Vielleicht wäre es aber auch einfach nur beziehungslos und sinnlos.

Brauche ich materielle Güter, um mich zu spüren und um mich in Beziehung zu mir selber bzw. zu anderen Menschen zu bringen ? Hoffentlich doch nicht.

Ich glaube aber nicht, dass ich über die Kontrolle oder das Wegschmeissen  von materiellem Besitz nun meine innere Dachstube ausmisten kann. Hier zeigen ja die Messies, dass das nicht so einfach geht. Das Messie-Syndrom wird (zumindest von den Messies selber) als eine Bindungsproblematik bzw. ein Mangel an Sicherheit und Bindung in der frühen Kindheit zurück geführt. Weil es da an Bindung und Beziehung zu Menschen fehlte, soll es dann zu einer krankhaften Bindung an „Besitz“ bis hin zum Müll kommen. Nicht-Wegschmeissen können ist dann quasi das Gegenteil von Minimalismus, oder ?

 

Minimalismus ist mir zu anstregend und zu aufwendig. Das sollen andere Menschen versuchen, die das irgendwie konsequenter hinbekommen

Der Frosch auf dem Herd und Depressionen

 

Nach meinem letzten Blogbeitrag zum Thema Entfremdung und Depression bin ich nun nach „DER“ Lösung des Dilemmas gefragt worden. Und prompt habe ich einen Blogbeitrag gefunden, der mich da sehr ansprach.

Im  tollen englischsprachigen Blog Brainpickings bin ich auf eine sehr schöne Metapher = Bild gestossen, die gut an meinen letzten Blogbeitrag zum Thema Entfremdung und Freiheit anknüpft. Es stammt aus einem Buch aus dem Jahr 1949 mit dem wunderbaren Titel „How to Avoid Work“, das allen Menschen gewidmet ist, die die Arbeit nicht mögen (oder gar hassen).

Es geht um einen Frosch, der in einem Kochtopf auf dem Herd sitzt. Langsam wird der Herd angeheizt und das Wasser wird heisser und heisser.

Der Frosch fühlt sich unwohl und wird unruhiger. Er wird mal aggressiver und schlägt um sich. Schliesslich wird er aber erschöpfter bzw. wird „eingelullt“ und verpasst den Zeitpunkt, um aus dem Topf zu springen bis er schliesslich das Bewusstsein verliert und zu Grunde geht.

Na ja, Froschschenkel sollen ja auch ganz lecker sein ….. Brrr….

Hier schön graphisch dargestellt am Beispiel Überwachung und Kontrolle in der Gesellschaft :

Diese Metapher von Lewis Hyde bezog sich auf die Arbeitswirklichkeit um 1949 für Arbeitstätigkeiten und Umstände, die dem Individuum nicht liegen bzw. die sie oder er nicht mag. Oder die zu schnell oder zu langsam, zu laut oder zu leise und damit überhaupt nicht auf die individuelle Regulationsdynamik, Interessen und Neigungen des jeweiligen Menschen abgestimmt sind. Entfremdung halt. So eine falsche Umgebung muss Druck und Angst auslösen.

Nun verändern sich ganz langsam die Rahmenbedingungen. Die Anforderungen werden etwas erhöht, die Unterstützung wird etwas zurückgenommen. Nicht weiter schlimm. Manchmal wird es auch wieder besser, die Temperatur sinkt also wieder. Nur man verliert das Gespür dafür, wie es denn für mich persönlich sich anfühlt, wenn man nur schaut, was die Anderen wohl noch aushalten können.

Wie es in dem Video so schön heisst, man müsste jeweils mal kontrollieren, wie heiss denn das Wasser schon ist.  Das Empfinden für die richtige Badetemperatur ist aber individuell. Nur nach den anderen zu schauen, kann gefährliche Ausmaße annehmen. Genauso, wie eben nicht auf den eigenen Wohlfühlbereich zu achten.

Und jünger werden wir eben auch nicht. Damit lassen die Kompensationskräfte eben auch ganz natürlich nach, möglicherweise spielen hormonelle Veränderungen und Schwankungen dann auch noch reine Rolle.

Aber eine Temperaturanzeige für das eigene emotionale Empfinden haben die meisten Menschen nicht.  Oder die Anzeige funktioniert nicht bzw sie haben nicht die neuropsychologische Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und Selbstregulation. Dann kommt es häufig zum Druckanstieg im Kochtopf, was ich ja auch schon zum Thema des Blogs hier gemacht habe..

In der Psychotherapie der Borderline-Störung beschreibt man ja so schön, dass auf einem Gefühlsthermometer zwischen 30 und 70 Grad noch Handlungsmöglichkeiten bestehen. Über 70 bis 100 Grad ist dann eben die Eigenregulation quasi nicht mehr möglich. Aber gerade da wäre es nötig, wenn man nicht frühzeitig runterregulieren kann. Besonders dann nicht, wenn eben das eigene Ventil für die Druckregulation nicht funktioniert bzw. die Selbstüberwachung bzw. Selbstkontrolle der eigenen Gefühle eben nie gelernt wurde und ständig in Frage gestellt wurde.

Gut, der Frosch beschliesst aus dem Kochtopf zu springen, bevor der Kessel kocht. Stellt sich nur die Frage : Wohin ? Wie soll das gehen, mit all den Abhängigkeiten und finanziellen und sonstigen Verpflichtungen.

Schreibe ich doch, dass man sich keine Ziele setzen sollte, die man nicht erreichen kann. Weil man dann noch frustrierter und ängstlicher aus dem Kochtopf schaut.

Erstmal sollte man sich als Frosch so die Frage stellen, ob ein Kochtopf ein guter Aufenthaltsort ist oder doch lieber ein kleiner Teich oder Bach. Ich muss mir also auf jeden Fall das richtige Umfeld bzw. eine passendes Biotop.
Auch unterscheiden wir uns individuell, welche Umgebungsbedingungen oder Tempo oder Besiedelungsdichte uns nun gut tut.

Vor einigen Tagen hatte ich dazu ein schönes Beispiel einer Patientin, die in einen ungünstigen Kochtopf gesprungen war. Nicht freiwillig.

Früher hatte sie als Betreuerin in einer Wohngruppe für Jugendliche gearbeitet. Dazu musste sich aber mit dem Auto ziemlich weit pendeln. Die ansteigenden Benzinkosten und die zeitliche Belastung führten dann dazu, dass sie diesen Job aufgab. Es rentierte sich einfach wirtschaftlich nicht mehr.

Nun wechselte sie in die Altenbetreuung in einem Seniorenheim. Näher dran, etwas schlechter bezahlt. Die Bedingungen wurden von Jahr zu Jahr schlechter, ihre Kraft nahm entsprechend ab.

Aber sie ist ja in diesem Bereich ungelernt und vermutlich sieht es in den anderen „Kochtöpfen“ der Altenpflege nicht besser aus. Sie blieb.

Als dann im familiären Umfeld Belastungen hinzu kamen bzw. durch die Strompreiserhöhungen und Kürzungen von Weihnachtsgeld bei ihrem Mann die Situation brenzelig wurde, konnte sie nicht mehr.

Es kam zu Konflikten mit Kolleginnen und sie wurde gereizter bzw reagierte impulsiver und verbal aggressiver gegen die alten Menschen.
Sie könne keine alten Menschen mehr sehen. Selbst bei uns in der Klinik, reagiert sie dann aggressiv auf Mitpatientinnen und Patienten aus dem Orthopädie-Bereich, die an Unterarmgehstützen laufen.

Nun ja. Die Temperatur ist wohl am sieden. Aber ist das ein Grund für eine Berentung ?

Ich denke nicht. Es gehört natürlich auch mit zu den eigenen Verantwortungen, sich jeweils mit der eigenen privaten und beruflichen Lebenssituation zu beschäftigen. Darauf frühzeitig zu reagieren, wenn die Wohlfühltemperatur überschritten ist.

Manchmal ist die Kündigung und ein Neuanfang unumgänglich. Und das ist (leider ?) keine Leistung der Krankenkasse oder Rentenversicherung.

Freiheit und Entfremdung der Gesundheit als Ursache von Depression ?

Ich bin kein Philosoph und das Denken über Freiheit und Geist sollte man vielleicht daher wirklich besser nicht Ärzten oder Psychotherapeuten überlassen.

Aber in den vergangenen Tagen hat es mich irgendwie schon nachdenklich gemacht, wenn der Friedensnobelpreis an die Schülerin Malala Yousafzai und an Kailash Satyarthi an Aktivisten für ein Recht auf Bildung bzw. Gleichberechtigung  verliehen wird. Natürlich ist Pakistan schön weit weg. Das Recht auf Bildung soll und muss auch für Mädchen in Entwicklungsländern gelten. Und von den bösen Islamisten eingehalten werden. Mit UNS hat das ja nichts zu tun, oder ? Schön weit weg.

In Spiegel-Online las ich da vom Nobel-Komitee

Kinder müssten die Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen, und müssten vor Ausbeutung geschützt werden,

Wir feiern dann das Jubiläum der Deutschen Einheit und freuen uns über die gewonnene Freiheit. Was immer das dann sein mag bzw. für den Einzelnen bedeutet. Ich habe dadurch meine Frau aus Sachsen überhaupt kennenlernen  können oder beispielsweise jetzt in Sachsen-Anhalt arbeiten können. Für andere Menschen mag es weniger schöne Konsequenzen gegeben haben. Brüche bzw. ständige Neuanfänge in den Lebensläufen kennzeichnen beispielsweise hier „im Osten“ häufig die Biographien meiner Patientinnen und Patienten. Sie gehören nicht immer zu den Gewinnern der Freiheit, obwohl man sie vielleicht als „freier“ bezeichnen würde bzw. welche Folgen diese Freiheit für den Einzelnen hat(te. Freier fühlen tun sie sich häufig nicht. Was keine politische Bewertung von Systemen oder Diktaturen ist. Sondern ein Gefühl von Unfreiheit bei doch so anscheinend vorherrschender Freiheit und Überfluss. Wobei eben auch Überfluss bei vielen leider eben gar nicht festzustellen ist,…

Die Frage, die man sich dann aber nicht stellt ist, wie denn dieses berechtigt hoch gefeierte Recht bzw. die Verfügbarkeit von Freiheit und Bildung bei uns vor der eigenen Haustür dann gelebt wird. Kinderarmut in Deutschland ist kein Randphänomen mehr, es ist gelebte Realität.  Selbst wenn die Kinder zur Schule gehen, so verlassen 20 Prozent die Schule ohne Schulabschluss. Und in Interviews wissen immer weniger Leute selbst die banalsten kulturellen Zusammenhänge. Ein Beispiel gefällig : „Warum feiern wir Weihnachten ?“ wird nicht gewusst. Bildung ist dann etwas für die Anderen. Oder soll zu Hause statt in der Schule durch die Eltern übernommen werden.
Und selbst für die „Mittelschicht“ wird es immer schwieriger, ein Einkommen zu erwirtschaften, dass ein Auskommen ohne ständigen Stress und Angst ermöglicht.

Gerne reden und schreiben wir von Missständen von Diktaturen, Armut und sonstigen Katastrophen und übersehen, dass es vor der eigenen Haustür immer ungesünder und ungerechter wird.

Angeblich, damit so was wie der Sozialstaat bzw. Freiheit bzw. das Solidarsystem wie Krankenversicherung oder Rentenversicherung  geschützt wird. Aber mit welchen Konsequenzen ? Tja, die Sachzwänge seien halt so.

Freiheit ist mehr ein philosophischer Begriff. Und dann geht es bis (oder vor) zu Hegel zurück, der sich damit auseinander setzte. Freiheit hat aber ganz viel mit jedem von uns individuell zu tun. Eigentlich nur. Freiheit ist sehr individuell. Das grosse Ganze ist das letztlich egal, bzw. viel zu abstrakt, um auf mich oder dich zu wirken.

Freiheit bedeutet , dass man auf sich selber zurückgeworfen ist. So wie ich Freiheit erleben möchte, so muss ich selber anderen Menschen Freiheit zusprechen bzw. ihnen Freiräume lassen.

Zuallererst geht es aber um die Freiheit des Einzelnen. Damit meine ich nicht Egoismus. Damit meine ich, dass man eben allein dafür verantwortlich ist und bleibt, wie und wo man sich frei fühlt und frei verhält. Und dann natürlich die Grenzen der Anderen respektvoll einhält. Taktvoll ist.

Freiheit bedeutet, dass man Grenzen hat und Grenzen einhält. Das nennt man dann bei Kindern Erziehung

Wobei es natürlich grosse individuelle und damit subjektive Unterschiede gibt, was man als taktvoll erlebt, bzw. wo die persönlichen Grenzen der Freiheit überschritten sind. Das muss man wahrnehmen und auch notfalls offen äußern können, sich also abgrenzen oder zurückziehen können. Selbst-regulieren halt. Das wäre dann Gesundheit. Wobei dabei auch die Möglichkeit für eine weitere freie Entwicklung bzw. Entfaltung gemeint ist. Oder wie ich gerne gegenüber meinen Patientinnen sage : Artgerechte Haltung sollte nicht nur für die Schweine oder Weihnachtsgänse gelten, sondern auch für uns Menschen. Freiheit hat also viel mit der Fähigkeit zu tun, auf Stressoren reagieren zu können und zu dürfen.

Merkwürdigerweise ist der Aufschrei bei Missachten der Schweinerechte gross. Wobei dann schnell mit juristischen Winkelzügen aus einem Haltungsverbot gegen eine natürliche Person (hier der Züchter) eine Ordnungswidrigkeit mit erneuten Strafzahlungen für die Gesellschaft (und gleichzeitiger Abzugsfähigkeit bzw. Ausgleich über irgendwelche EU-Mittel) wird und die Haltung dann der „juristischen Person“ (= Betrieb) weiter erlaubt werden wird. Ich bin sehr für Tierschutz, aber manchmal frage ich mich, warum der Aufschrei da soviel lauter ist als bei Missachtung von selbstverständlichen Haltungsbedingungen für uns Menschen ?
Viele Schweine haben inzwischen mehr Bewegungsfreiheit im Leben als Menschen. Dafür leben sie kürzer und enden als Schnitzel. Und die Menschen ziehen dann als Konsequenz vor, Veganer zu werden. Sie schränken sich weiter ein, um die Grenzen von Anderen (Tieren) zu achten.

Wenn es um die Freiheit bzw. Freiheitsgrade des Einzelnen geht, sollen wir aber schweigen. Sonst fürchten wir (metaphorisch gesprochen) auch auf der Schlachtbank geopfert zu werden.

 

Entfremdung ist dann ein Zustand, bei dem ein natürlicher (bzw. sich selbst regulierender) Prozess von Beziehungen zwischen Menschen bzw. zwischen Mensch und Natur aufgehoben, verkehrt oder zerstört wird. Entfremdung ist damit so was wie Dissoziation bzw. Zergliederung und Zerteilung, bzw. ein Aufheben von natürlichem Anstand bzw. Wahrnehmung und Einhalten von Bedürfnissen wie Schlaf, Hunger, Sexualität oder Erholung und Ausgleichsmöglichkeiten. Aber eben auch von individuellen Bedürfnissen nach Abstand und Nähe, der Einhaltung von individuellen Arbeits-Tempo oder eben einem „entschleunigteren“ Lebensstil. Und wir leben mit immer mehr Menschen zusammen, die damit nicht mehr klarkommen können. Auf die wir dann aber auch wiederum Rücksicht nehmen müssen, weil sie ja damit nicht klarkommen. Wir sind ja anständig und sensibel.

Das ist nun nicht erst seit der Erfindung von Fliessbändern in der Automobilindustrie so. Damit wird es wieder sehr politisch bzw. gesellschaftlich relevant. Entfremdung ist das Aufheben bzw. Verunmöglichen von Selbstregulation über Freiheitsgrade bzw. eine selbst-getaktete bzw. selbst eingeteilte Lebenswirklichkeit.

Wenn man so will, ist also im medizinischen bzw. psychotherapeutischen Sinne Entfremdung das Gegenteil von Achtsamkeit. Entfremdung ist aber eben auch so ein Phänomen wie Mobbing oder Burnout und muss doch früher oder später in Depressionen münden.

Hierzu ein Beispiel einer unserer Patientinnen :

Sie kam zu mir, nachdem es bei uns in der Kunsttherapie zu einem Konflikt mit Mitpatientinnen kam und sie dann erregt und verletzt die Gruppe verlassen habe.

Sie erzählte mir, dass sie besonders unter Schlafstörungen leide. Sie schlafe zwar aus Erschöpfung abends ein, wache dann aber in der Nacht früh wieder auf und könne nicht einschlafen. Sie habe Kopfschmerzen, Tinnitus und leide unter unerklärlichen Durchfällen, die ihre Bewegungsfreiheit im Alltag zusätzlich einschränkten. Zudem leide sie unter Depressionen. Es würde von Tag zu Tag schlimmer und sei nicht mehr aushaltbar. Sie müsse sich von den anderen Menschen zurückziehen und könne kaum noch das Haus verlassen.

Es müsse anders werden. So sei sie nicht arbeitsfähig und sie sei so ganz und gar verzweifelt, dass man da nichts machen könne.

Wie viele unserer Patientinnen hier in Bad Kösen hat sie bereits zahlreiche Berufe bzw. Tätigkeiten hinter sich, die mit ihrem ursprünglichen Ausbildungsberuf in der damaligen DDR nicht viel zu tun haben. Derzeit arbeitet sie als Altenpflegerin im ambulanten Bereich. Sie ist damit einerseits strikten Taktvorgaben über die zur Verfügung gestellte „Pflegezeit“ ausgeliefert, muss die Fahrtstrecken zwischen den Einsätzen im Sauseschritt bei Schnee und Dunkelheit wie im Sommer meistern und dann eben die zunehmende Vereinsamung, aber auch durch Demenz bzw. Schmerzen und Pflegezustand bedingten Unzufriedenheiten ihrer Klienten aushalten.  Sie habe häufig Wechselschichten, d.h. müsse bis abends spät arbeiten und dann schon früh am nächsten Morgen wieder raus. Das gehe auf die Substanz. Sie habe das vielleicht früher noch etwas besser wegstecken können. Die Arbeit muss ja erledigt werden und immer mehr jüngere Kolleginnen und Kollegen versuchen, diesem Mühlrad zu entkommen. Sie hätten ja Schulkinder und könnten daher nur ganz bestimmte Touren übernehmen. Schon gar nicht morgens. Schliesslich  seien ja die Schulzeiten wie sie sind. Und meine Patientin solle / müsse auf diese Sachzwänge Rücksicht nehmen und dann nehmen, was übrig bleibt. Das gelte dann natürlich auch für die Ferienzeiten.

Ihr Mann wiederum sei als Fernfahrer tätig. Er sei eigentlich nur am Samstag den ganzen Tag da. An diesem Tag müsse dann die Wäsche gemacht und alle möglichen Vorbereitungen für die nächste Woche erledigt werden. Gemeinsame Zeit oder gar Unterstützung habe sie selten. Sie sei es aber auch gar nicht anders gewöhnt.

Schliesslich habe sie noch eine erwachsene Tochter. Die sei auch sehr eingespannt. Seit einigen Monaten habe sie einen unerfüllten Kinderwunsch. Da es mit dem Kinderkriegen nicht geklappt habe, habe sie sich als Ersatz ein Pferd angeschafft. Schon allein, um nicht weiteren Druck auf die Tochter auszuüben, habe sie sich mit in der Pflege des Pferdes beteiligt, obwohl sie ja nicht reite. Schlimmer noch sei aber, dass jetzt gemeinsame Esszeiten mit der Tochter bzw. Kontakte sich nach der freien Zeit des Pferdes richten würde. Das käme ihr auch merkwürdig vor, sie traue sich aber nicht, dies mit ihrer Tochter zu besprechen. Ein Pferd sei ja schliesslich kein Fahrrad, dass man so in die Ecke stellen könne.

Die Patientin selber kennt es aber kaum anders. Bereits in der Kindheit hat sie früh die Verantwortung für ihre jüngere Schwester übernommen, sie häufig in die Krippe gebracht, da die Mutter eben auch berufstätig war. Der Vater sei häufig alkoholisiert und auch auch gewalttätig gewesen. Sie habe viele Spannungen erlebt und habe versucht, die Schwester zu schützen. Sie selber habe dann versucht, sich nichts anmerken zu lassen. Um nicht noch mehr Angriffsfläche zu liefern. Die Kindheit sei ihr eigentlich überhaupt nicht in schöner Erinnerung. Eigentlich habe sie keine Erinnerung bzw. einen Zugriff auf Gefühle. Sie habe offenbar da eine doppelte Buchhaltung machen müssen. Für ihre Schwester habe sie heile Welt gespielt, in einer Welt, die aber nur vordergründig heile sei.

Sie hätte ja ihre Schwester verraten bzw. schutzlos zurückgelassen und sie könne ja auch nicht Freiheiten ihrer Tochter oder ihres Mannes wegnehmen. Die würden dann nämlich entsprechend erbost bzw. gekränkt reagieren. Und das wolle sie ja auch nicht.

„Es“ muss anders werden. Tja. Wer oder was auch immer „Es“ ist. Es ist nun in ihr Leben getreten und stört dort. Das haben wir ja häufiger. Es mault und quengelt, sorgt für Schlafprobleme bzw. Schlaflosigkeit und jede Menge körperliche Beschwerden. Psychosomatik halt.

Aber die Patientin ist noch gar nicht soweit, dass sie nun Ansatzmöglichkeiten für eine Veränderung bei SICH sieht.

Es soll ja anders werden. Nicht SIE. Oder zumindest sollten die ANDEREN sich ändern oder sich für SIE einsetzen. Ärzte, Therapeuten, ihr Mann. Wer auch immer.

Aber was sollte SIE denn schon gross tun können ?

Tja, welche Ansatzmöglichkeiten für die Wiederherstellung von Freiheit und Gesundheit seht Ihr ?

Verbitterungsstörung und Ausstieg über den Notausgang

Jedes Kind bekommt mit den ersten Zähnen beigebracht, auf die eigene Gesundheit zu achten. „Putze die Zähne, sonst verlierst Du einen Zahn“, „zieh dich warm an, sonst erkältest Du dich“ und so weiter. Bloss keine Infektion im fremden Klo, also Hände waschen.

Psycho-Hygiene oder eine Art selbstsorgsamer Umgang mit der eigenen emotionalen Hygiene und Abwehrkräfte kommt aber irgendwie nicht vor.

Neulich habe ich einen Beitrag im Fernsehen über Männer-Medizin gesehen. Sinngemäss ging es darum, dass Männer so ab 45 oder aufwärts halt gesundheitlich häufig auf dem Zahnfleisch gehen, weil sie nicht wahrnehmen können oder wollen, dass sie keine 21 mehr sind.

Das hat nicht nur was mit dem eigenen Ego zu tun, sondern hat handfeste Auswirkungen auf die Gesundheit. Rauchen, Alkohol, Bewegungsmangel, Übergewicht , Rückenschmerzen  oder mal eine oder mehrere durchzechte Nächte steckt man in jungen Jahren leider wesentlich besser weg, als nun im „Mittelalter“. Ganz zu schweigen von sexuellen Funktionsstörungen oder gar Prostata-Hypertrophie….

Männer haben offenbar ein größeres Talent, dies zu übersehen. Das treibt sie seltener zum Arzt oder gar Psychotherapeuten  und noch seltener in psychosomatische Kliniken als nun ihre gleichalten Lebensabschnittsbegleiterinnen.
Während das Auto spätestens im Oktober nicht nur eine Generalüberholung, sondern auch neue Winterreifen und Frostschutz sowie einen Ölwechsel spendiert  bekommt, wird ein eigener Gesundeits-Check auf „später“ verschoben. Geld für die eigene Gesundheit ausgeben, ist nicht drinn. Für die eigene psychische Gesundheit wird allenfalls ein Duftbad für die Frau Gemahlin in Erwägung gezogen.

Leider manchmal  mit der  „Nebenwirkung“, dass allein bei uns im Dorf dann etliche Männer im besten Alter  plötzlich und unerwartet einen tödlichen Herzinfarkt und sonstige Gründe für vorzeitiges Ableben fanden. Meistens trifft es die Falschen.
Jedenfalls scheint es aus welchen Gründen auch immer Männer nicht so emotional zu tangieren, dass ihre Belastungsgrenzen und körpereigenen Reparaturmechanismen der Regeneration und Selbstheilung über Nacht nun irgendwie immer weniger gut greifen.

Bis zu einem bestimmten Punkt klappt also die körpereigene Regulation und Regenerationsleistung noch „automatisch“, aber irgendwann wäre sowas wie gesundheitsbewusstes Verhaltens angebracht. Bei dem EInen früher als bei Anderen. Menschen aus dem ADHS-und Autismus-Spektrum gehören eher zu den „früher“ Betroffenen.

Häufig fängt die neuropsychologische Fähigkeit zur Selbstüberwachung des eigenen (Gesundheits-)Verhalten  erst mit dem ersten Warnschuss in Form eines überlebten Herzinfarktes oder aber sonstiger einschneidender Erlebnisse. Bei anderen Menschen (z.B. aus dem ADHS-Spektrum) möglicherweise deutlich verspätet bis nie.

Bis es bei Dir selbst oder in dem eigenen beruflichen oder privaten Umfeld dann doch einschlägt.

Dann aber häufig unter großem Wehklagen bzw. einem emotionalem Weltuntergangsgefühl. Wie halt Männer so sind, wenn ihr Gefühl von Unverletzbarkeit und ewiger Jugend durch die ersten grauen Haare in Frage gestellt werden. Erste Zeichen der Midlife-Crisis… Alarm !!!!!!

Ich will nun wirklich nicht behaupten, dass Man(n) darauf nun stolz sein sollte oder dies nun erstrebenswert wäre.  Und die üblichen (?) dysfunktionalen Versuche der Midlife-Crisis nun sich selber neu zu erfinden oder von aussen über Statussymbole oder gar neue Freundin kurzzeitig „feiern“ zu lassen, sind natürlich eher peinlich als wirksam. Männer werden aber eben seltener psychosomatisch / psychiatrisch krank. Bei uns in der Klinik (sogar unter Einschluss der orthopädischen Patienten) ist das Verhältnis etwa 25 : 75 Männer zu Frauen.

Sie (bzw. Mann)  sind aber dennoch dann unzufrieden bzw. dysphorisch und machen dafür ihre Familie kirre bzw. verrückt. Und krank. Oder tyrannisieren ihre Arbeitskolleginnen. Die anderen sind dann schuld.

Anders ausgedrückt : Männer scheinen nun in gewisser Weise emotionale und körperliche Selbstwahrnehmung häufig kaum in Übereinstimmung zu bringen. Sie trennen (dissoziieren) da ihre Wahrnehmung. Und sie werden emotional total unflexibel und verursachen damit Generve bzw. Irritation in ihrem Umfeld.

Das ist alles andere als ein Zeichen von Gesundheit, wird aber eher in Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Rollenerwartungen und Anforderungen zu halten sein. Damit meine ich, dass dieses Nicht-Wahrnehmen durchaus auch eine Art Schutzfunktion haben kann.

Auch wenn Frauen nun natürlich nie älter werden (dürfen), sind auch sie nun hinsichtlich ihrer körperlichen wie auch emotionalen Selbstüberwachung uns Männern irgendwie „voraus“.
Aber eben nicht nur auf der körperlichen Belastungsebene, sondern auch auf der emotionalen Empfindungsschmerzgrenze.

Wer empfindsamer ist, gilt aber als „schwach“.

Schwachleister

Begriffe wie „Schwachleister“  sind offenbar nicht nur bei der Post geläufig. In einem Fürsorglichen Personalgespräch wird auf Mitarbeitern in zunehmend mehr Branchen ein Druck ausgeübt, einen „flexiblen“ Personaleinsatz zu unterstützen.

Das bedeutet dann zunehmende Kündigungen, größerer Zustellbezirk, Mehrarbeit durch Ausfall von Kollegen und Kolleginnen und emotionale Daueranspannung durch die Angst, dass der Arbeitsvertrag befristet ist.

Was heisst das aber in der Praxis ? Gerade in Branchen, in denen berufstätige (häufig noch alleinerziehende) Frauen tätig sind, wird über befristete Arbeitsverträge und eine zunehmende Rationalisierung (ein hier eher unpassender Begriff) von Arbeitsplätze eine Verdichtung von Arbeit und eine Takt-losigkeit in Kauf genommen.

Eine Entfremdung von normalen biologischen Tag-Nacht-Rhythmen, immer längerer Anfahrtswegen und eben der Forderung nach „Flexibilisierung“. Was aber zu einer genau gegenteiligen Entwicklung für die Psyche führen muss.

Die „Flexibilisierung“ muss zur Verhärtung und Verbitterung beitragen, wenn es dafür keinen Ausgleich gibt. Ich habe ja schon in dem Beitrag zum Zeitnotstand bzw. der neuen Armut genau in diese Kerbe geschlagen. Flexibilisierung für einen Arbeitgeber führt dazu, dass die Handlungfreiheiten und Möglichkeiten zur Anpassung für den betroffenenen Arbeitnehmer eingeschränkt und aufgehoben werden.

Wir hatten und haben.  immer wieder Mitarbeiter aus Call-Centern, den Discount-Einkaufsmärkten oder Schein-Selbstständigen Kurierfahrern etc, die in eine ähnliche Zwickmühle geraten, die dann in eine Erschöpfungsdepression führen muss.

Speziell dann, wenn das familiäre Umfeld dieses Ausnutzen seitens der Arbeitsgeber nicht mehr mitmachen (können) bzw. eigene Angehörige wie pflegebedürftige Eltern oder aber Kinder zu versorgen sind.

Dann von „Schwachleistern“ zu sprechen, die die völlig unrealistischen Zielvorgaben eines Managers bzw. leitenden Angestellten nicht erfüllen, ist an Abgebrühtheit und Unanständigkeit  nicht zu überbieten.

Burnout scheint mehr oder weniger lieber auf die dagegen ja fast trivial wirkende Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens bei Managern begrenzt zu werden.  Letztlich müsste man dann eben genau den Politikern bzw. Arbeitgebern genau die psychische Notlage wünschen, die sie letztlich mitverantworten.

Neurotypische Menschen mögen damit noch klar kommen. Menschen mit psychischen Belastungen bzw. einer besonderen Empfindsamkeit werden dann aber „Aussteigen“. Entweder in Resignation, in Irritation oder in Aggression.

Es ist schrecklich dann  zu hören, dass ein Job-Center-Gutachter umgebracht wurde. Aber die Leidtragenden sind dann eben eher die Mitarbeiter und weniger Diejenigen, die die Bestimmungen und Gesetze und die dazu unpassenden Ausführungsbestimmungen durchsetzen. (Womit ich keinesfalls in irgendeiner Form den Mord an dem Gutachter relativieren möchte). Es geht mir eher darum, dass die Auswirkungen einer veränderten Gesellschaft bzw. sozialem und beruflichem Un-Gerechtigkeitsempfinden die Arbeitsnehmer zu schultern haben.

Diejenigen, die das wahr-nehmen, wären eigentlich „gesund“. Wir bezeichnen sie aber als krank, weil man so zugeben müsste, dass die Struktur bzw. das Umfeld krank ist. Verkehrte Welt.

Gibt es ein „zuviel“ von Gesundheit ?

Gerade als Arzt bzw. Psychotherapeut erlebe ich nicht selten hochsensible bzw. sehr kluge und feinfühlige Frauen (und natürlich auch mal Männer), die „zu gesund“ für diese Welt sind.
Damit meine ich, dass sie sehr reizoffen und sensibel Missstände und Unzulänglichkeiten in ihrer sozialen wie beruflichen Umgebung erfassen. Aber eben nicht verändern können.

Es ist blöd, wenn man so gesund (im Sinne von gut-mütig und achtsam) und feinfühlig ist, dass man einen Miss-Stand spürt, ihn aber nicht verändern kann. So wie ADHS-Kinder eben Indikatorkinder für strukturelle bzw. persönliche Schuldefizite von Schulen bzw. Lehrkräften sind, so sind sehr häufig Burnout oder Erschöpfungsdepressionen in einer Abteilung eben vermehrt zu finden. Sie sind Indikator für eine verpestete emotionale Atmosphäre bzw. eine inhumane Entwicklung bestimmter (nicht aller) Arbeitswelten.

Bedingt durch eigene Schlafstörungen habe ich ein hörenswertes Interview mit Norbert Blüm zu seinem Buch „Einspruch“ gehört. Es ist eher eine Polemik oder teilweise zynische Anklage über Missstände in unserem Justizsystem. Er prangert ein Verlust bzw. geradezu eine Verachtung der Anständigkeit durch verschiedenste Beteiligte der Justiz an und gibt genug Beispiele, die dem gesunden Menschenverstand an Gerechtigkeit und Anstand der Justiz zuwider laufen. Und es ist ja nicht nur die Justiz, Und er sagte :

Mit der Verachtung der Wahrheit beginnt die Ungerechtigkeit.

Viele Menschen erleben ein Gefühl des Ausgeliefertsein bzw. der erlebten Hilflosigkeit und (auch objektiven) Ungerechtigkeit im Zusammenhang mit Arbeitgebern,  Behörden, Schule, Krankenkasse oder Rentenversicherung, Job-Center oder ihrer Bank und und und. Sie werden objektiv gesehen unfair bzw. zumindest hart am Rande der juristischen Legalität behandelt. Und es wird ihnen zugemutet, dass sie dann juristische Wege in Kauf nehmen  müssten, wenn ihr gutes Recht eben aus Kostengründen zunächst nicht gewährt wird. Und es ist inzwischen allein aus finanziellen Beweggründen der Städte   fast schon die Regel, dass die Wahrheit bzw. der Weg zu eigenen berechtigten Ansprüchen und Hilfen von den zuständigen Stellen mit Verachtung gestraft werden.

 

Zudem gibt es fast  überall  an Arbeitsstätten den oder die „unaushaltbare“ Kollegin oder aber ein Vorgesetzter, der nun nur Kraft irgendwelcher Beziehungen oder Seilschaften in eine Position gekommen ist, in der er oder sie nicht hingehört. Wo ein Betrieb oder eine Organisation wesentlich besser funktionieren würde, wenn diese emotionale Vergiftung des Arbeitsklimas eben zu den von mir oben genannten Männern gehören würden, die vorzeitig und unerwartet ihrer Witwe ein sorgenfreieres Leben ermöglichen würden. Leider haben ausgerechnet diese Menschen offenbar eine stabile Abwehr bzw. werden nicht krank. Sie lassen krank werden.

Wenn sie wenigstens wegbefördert würden…. Was aber nicht passiert, weil ja allgemein in der Firma bekannt ist, dass diese Person nun ganze Abteilungen in den Krankenstand des Burnout oder einer Erschöpfungsdepression treiben kann.

 

Diese fortgesetzte Missachtung der eigenen Anständigkeit bzw. von Echtheit und Wahrheit, führt zur Verbitterung. Zumindest dann, wenn in der eigenen Biographie sich schon ähnliche Hilflosigkeitserfahrungen bzw. Macht-Strukturen auffinden lassen, die also einen ungünstigen Nährboden für das Wiedererleben eines solchen bitteren Schmerzes ermöglichen.

Auch wenn die von Prof. Linden aus Berlin als Verbitterungsstörung bezeichnete Problematik keine offizielle DSM- oder ICD-Diagnosekategorie ist, so finden wir immer häufiger Patientinnen und Patienten, die eine solche Problematik aufweisen.

Ich bin sehr froh, dass ich bei meinem derzeitigen Arbeitgeber ein Umfeld von Gesundheit gefunden habe, wo ich solche Störfaktoren minimieren kann. Oder besser damit umgehen kann.